Rezension zu "Pfauenwasser" auf dem Signaturen-Magazin https://signaturen-magazin.de/kerstin-fischer--pfauenwasser.html
"Der neue Lyrikband von Kerstin Fischer ist eine flammende Ode an das Leben. Und: Er ist eine Ode an den Tod. Aufwühlende Ambivalenzen durchziehen den Band der norddeutschen Autorin – wieder erschienen in der edition exemplum im ATHENA Verlag. Ambivalenzen sind es, die mit Urgewalt Meere oder Libellen tanzen lassen, die rostige Ränder der Städte und stille Zimmer besingen – und die beinahe in jedem Moment das Bewusstsein für eines nicht verlieren: dass wir gefährdet sind, zerbrechlich. Und nah, in jeder Sekunde nah am unausweichlichen Tod:
„In mir wächst ein Baum
mit jungen Zweigen
in den Tod.“
ist eins von fünfzehn Kürzestgedichten (von insgesamt gut einhundert Gedichten), das ohne Titel prägnant und unprätentiös das Problem auf den Punkt bringt.
Kerstin Fischer hat mit „Pfauenwasser“ ihren Namen als kluge und hochsensible Sprachvirtuosin gefestigt. Ihre expressiven Sprachbilder und Metaphern rütteln an den aus gutem Grund verschlossenen Türen tief in uns selbst; sind durchaus geeignet, alte Ängste neu zu mobilisieren. Sie sind aber auch geeignet, eine Kraft zu mobilisieren, die antritt, dem Tod zu trotzen.
Drei Textblöcke umkreisen mit immer wiederkehrenden Motiven die Themen Schmerz und Tod – auch Todessehnsucht wohl; der Hang zum Fragilen, Morbiden ist augenfällig und bringt faszinierende Bilder hervor.
„Schon im Winterfell stehe ich am Rande der Erde,
vor blau blühenden Gräbern.“
heißt es in „Exitus“.
In „Spur“ heißt es aber
„… Ich schreibe Not in mein Buch und gelinge.
… Über dem Steinboden treiben warm die Bilder aus,
zart und grün.
Durch das Glas fällt herbe Wintersonne,
die nach Flüssen riecht.
Meine Spur entsteht.“
Kerstin Fischers genaue Beobachtungen münden in sehr besondere Assoziationen: Verrätselt, fantastisch, verfremdet. Da ist viel Platz für Interpretation und Hineinweben ins eigene Erlebte. Viel von dem, was Sprache an religiösem Vokabular parat hat, wird genutzt: Hostie, der Gesalbte, Engel, Altäre, Abendmahl ... Der Verlust scheinbar heilsbringender Kindheits-versprechen tut ein Leben lang weh.
„…Zangen aus Zeit schmerzen die kranken Glieder,
die vor Altären betteln.
Das Gewissen, ein zahmes Reh vor Opferstöcken,
trinkt die schwarzen Flecken von den Lungen.
…“ (aus: Kreidezeichen)
Überhaupt: die Tiere. Viele von ihnen bevölkern Fischers geheimnisvolle Welt. Neben den Rehen auch Raben und Ratten. Libellen. Vögel und Fische. Und Schwäne und Muscheln.
Überhaupt: das Meer. Das Meer in x Variationen – die Autorin lebt knapp eine Autostunde von der Nordsee entfernt – bedrohlich oder mild.
Überhaupt: die Natur. Kirschen und Kornblumen unterm Mond. Felder und Mohn, laubnasse Parks und dunkle Gärten; der heimische Garten als Trostspender zuweilen:
„Der dunkle Wintermorgen hüllt den Garten in Gebrechlichkeit.
Reste von Schnee wie verlorene Tage. …
Um die Blätter eisige Häute wie Pelze.
In dem Teich sind Geheimnisse erfroren. …
Ich bewege warme Orangen in meiner Hand, …“ (aus: Gartenbegehung)
Häufig werden Innenräume gezeichnet: still und abgeschieden; sie erinnern sie an die Bilder des genialen Vilhelm Hammershoi. In Zimmern wird Geborgenheit erlebt, gelegentlich mit einem Du, das wir nicht kennen. Oder das Gefühl von Gefangensein:
„Gefangen in sonnengelben Zimmern.
Meine Hände kleben wie Schnecken an den geschlossenen Fenstern.
…“ (aus: Strandfeuer)
Auch als Ort kontemplativer Überlegungen kann ein stiller Raum dienen:
„Ich sitze am Fenster, vor der Ruhe des Gartens.
Hinter den geschlossenen Augen der Kirsche wohnt schon der Winter.
Schwalben gleiten durch das warme Sterben des Sommers.
Das Zimmer formt die Totenmaske der Mutter.“ (ohne Titel).
Nur einmal noch taucht die Mutter auf, in „Werdegang“:
„Meine Schritte schwimmen wie Fische durch die Mittagsruhe der Stadt. …
Ich laufe zum Bahnhof, um den Zugvögeln zu folgen.
Die Gleise schmecken nach Blut. …
Ich lege die Hände vor die Mutter in meinem Gesicht …“
Das ist groß und erschütternd. Nicht weniger groß die Kraft, die sich, quasi wie ein Manifest zum Leben, zum Weitermachen, auch im Gedicht „Menschenleer“ zeigt:
„In den dornigen Morgen welken Gedanken.
Meine Schmerzen sind noch schüchterne Greise.
Ich flüchte in die weißen Wiesen des Papiers
und webe Worte in menschenleere Täler.“ Ursula Maria Wartmann
Rezension zu "Simons Linein" auf https://www.lesering.de/id/4938125/Simons-Linien-von-Kerstin-Fischer-/ März 2025
"...Ein literarisches Meisterwerk mit Tiefgang
Mit Simons Linien ist Kerstin Fischer ein tief bewegender und literarisch anspruchsvoller Roman gelungen. Die Geschichte von Simon, seinem Ringen mit Verlust und Selbstfindung, ist eindringlich erzählt und bleibt lange im Gedächtnis.
Wer auf der Suche nach einer emotionalen, vielschichtigen Geschichte ist, die sich mit Identität, Kunst und sozialer Realität auseinandersetzt, wird an diesem Buch Gefallen finden. Besonders für Leser, die sich für psychologische Tiefe und poetische Sprache begeistern, ist Simons Linien eine klare Empfehlung..." Benedict Pappelbaum
Rezension zu "Spiegelglut" in Etcetera / Kafkaesk , März 2024
Unterteilt hat sie ihn in fünf Abschnitte und beginnt mit dem Kapitel: „Ein Ahnen von Mauerseglern“. Schon das Eingangsgedicht Am Fenster markiert den Sprachduktus der Autorin: ein mit Formen, Farben, Sinneseindrücken und (Sprach)bildern genährter Text:
Die Küche, eine Scherbe mit dicken Lippen (…)
Am salzigen Rand des Weges liegt ein schmutziger Hut.
Die Schleife um mein Haus. Ultramarin.
Ich löse ihre Lizenz und sammle
gefrorene Schmetterlinge von den Stufen.
Kerstin Fischer, geboren 1965, studierte Germanistik und Geschichte an der Universität Bremen. Sie lebt als Schriftstellerin, Lyrikerin, Malerin in ihrem Lyrikatelier. Zahlreiche Veröffentlichungen, u.a.: etcetera. Zwischenzeit, Oktober 2020.
Kunstvoll verwebt Fischer Wörter zu ungewohnten, aber umso treffenderen Verbindungen mit einem starken Fokus auf dem Visuellen und lässt gängige Kollokationen neue, unerwartete Symbiosen eingehen.
Den Gedichten muss die ihnen gebührende Aufmerksamkeit und Lesesorgfalt entgegengebracht werden. Auf keinen Fall sollte man zwischen Tür und Angel mehrere auf einmal verschlingen. Jeder einzelne Vers fordert das Innehalten, das Auseinandersetzen mit dem Gesagten förmlich ein und belohnt bei genauerem Hinsehen mit immer neuen Zwischentönen.
Wiederkehrende Elemente sind u.a. Farben, Zweige, Verflechtungen, Vögel, Reisen in ferne Länder, Räume und Gärten, Krankheit und Tod. Die Dichotomien zwischen dem Innen und dem Außen, zwischen Licht und Schatten, Saat und Ernte, Nacht und Tag, Nähe und Ferne, Alltäglichkeit und Fremde sind oft schon bei ihrer Beschreibung im Begriff der Auflösung. Dann wieder werden auf erfinderische Weise Brücken zwischen vermeintlichen Kontradiktionen geschlagen.
Auch mit dem Schreibprozess an sich setzt Fischer sich auseinander und beschreibt ihn u.a. als Trost spendenden Vorgang des Flechtens bzw. Verknotens: „Meine Augen steigen ein Gebirge herab / und finden Ruhe in den weißen Tälern des Papiers. / Ich binde die Anfänge neuer Lichter / um die Enden meiner Wörter / und beginne“ (Love Letters), als Ertrag: „Ich ernte Schrift aus finsteren Gräbern, / um sie in Lichtsärge zu legen (…)“ (Lichtsärge), als Geburt: „Ich laufe über die Seile zwischen den erdähnlichen Planeten / und warte in der Milchstraße auf die Geburt meiner Wörter“ (Die Nacht seerosenweit) und als Brücke zwischen Leben und Tod: „Ich schreibe Gedichte in den Januarschatten. / Er ist durch die Zimmer gewachsen, in der Nacht, / als die Rehe mir die Lebenslinie aus der Hand lasen“ (Die Wasserlilie). Dabei wird auch der Schmerz, der mit dem Schreiben einhergeht, nicht außen vor gelassen: „Ich zerbreche sanft … über dem Papier“ (Lila).
Fischers Sprache ist innovativ, ausdrucksstark, berührend und dabei gleichermaßen trennscharf wie nebulös. Wortneuschöpfungen wie „oleandersatt“ (Kriegsfeder. Vision I), „Bernsteinblicke“ (Sibiu. Vision I), „Taubenstille“ (Am Ende des Rots), „waldwürzig“, „Lichterbalz“ (Honigrot), „Wolkensüße“ (Mohnmund, gläsern) und „Amselschwere“ (Porträt schöner Aussicht) erinnern an Rainer Maria Rilke.
Einige meiner Lieblingsverse, die ich hier für sich sprechen lassen möchte:
“Ich pflücke Stunden wie Mirabellen und gebe ihnen mein Gelb. / An der Winterweide die Krähen. / Sie picken lange Nächte in den harten Boden.“ (Am Fenster)
„Der Tod kann nicht überall sein. Es muss mehrere von ihm geben.“ (Love Letters)
„Ich sammle die Blüten und trinke Lila. Es tropft auf das Papier, / als hätte ich mich geschnitten. Der Atem der Kiefer geht darüber hinweg. / Ich zerbreche sanft … über dem Papier.“ (Lila)
„In den Nächten krieche ich durch mein Traumverlangen. / Ich erwache in hellen Kissen. Das Blut ist längst gestillt mit Morgenröte.“ (Die Reise)
„Eine Spur Himmel fließt in meine Hand / und versiegt über dem Relief der Stadt.“ (Lyrik Noire)
„Ich fange die Wörter aus den Städten / und trockne sie in Wäldern.“ (Zeit der Winterfische)
Fazit: Wer Lyrik liebt, die mit der Doppeldeutigkeit von Wörtern und deren Klang spielt, die mit ihrer Bildhaftigkeit aus dem Alltag entführt und deren Wortschatz von Ideenreichtum zeugt, ist hier genau richtig! Absolute Leseempfehlung!"