Lyrikatelier Kerstin Fischer

 




Venedig. Karneval II


Das Zimmer lehnt sich gegen die Nacht,
in die Lautlosigkeit der Vögel auf Venedigs Treppen.
Das Wasser schlägt wie mit Ringen gegen das Ufer,
schlägt an den Winter der Stadt.
In lila Seide die Gestalt nebelgenau.
Die fließende Bewegung, die Silber verliert.
Eine Katze, die den Frost berührt.
Der Tod ist schon März am nächsten Morgen.







Gefangen


Ein Tautropfen fällt in die offene Wunde des Nachmittags.
Meine heulenden Bewegungen ersticken
an der Durchsichtigkeit der Welt.
Meine Träume vom Meer liegen in tuberkulösem Schatten.
In meinen Lungen ist der Wind gefangen,
denn meine Wörter fiebern
zwischen den Wänden des begrenzenden Zimmers.
Ein Schritt. Ein Schritt. Ein Tun. Ein Jetzt
über mürbem Boden.
Über dem Stuhl das Mieder der Nacht wie ein Lamm.
Am Fenster sanfter Regen. Er steckt meinen Kreis.
Und der Tod leckt mein Gebet.
Mein Blick kriecht über den Kadaver des Winters
und füttert ihn mit dunklen Nüssen.
Meine reifen Hände wie Blätter über dem Papier,
die fallen, Tag für Tag,
warm und hungrig.              



      

Elegie der Versuchung


Über dem Garten liegen die weichen Hände aus Flieder.
Du schließt die Nähte des Dunkels
mit deiner Silhouette aus muschelweißer Illusion.
Die Sonne wärmt meinen Halbschatten.
Dämonen fliehen über die Straße nach Süden
und hinterlassen Nachtrinde mit Tod aus Gold.
Meine Annahmen fallen mit den Lämmern von den Klippen
wie schwere Steine.
Jeder Aufprall die Geburt einer Seerose.
Du gießt warme Zeit in meine gebrechlichen Schalen,
bis die kalten Vögel sterben und ich wieder neu schreibe
an der Maserung des Windes.
In mir dein zartes Blatt.





Ich sitze am Fenster, vor der Ruhe des Gartens.
Hinter den geschlossenen Augen der Kirsche
wohnt schon der Winter.
Schwalben gleiten durch das warme Sterben des Sommers.
Das Zimmer formt die Totenmaske der Mutter.









Bekenntnis II changierend


Nächte wie gebrochene Flügel über leeren Straßen.
Die raue Zunge des Asphalts leckt über meine staubige Hand.
Dann der Morgen im Beischlaf mit dem Tau.
Ich finde meinen Garten in Mohn.
Der Regen fällt treu in meine leeren Schalen.
Schleier über dem See.
Weiße, weiche Lippen, die Sagen sprechen,
aus denen Schimmel stürmen, mit schönen Mähnen.
Die Gedanken brechen das Brot und trinken den Wein.
Das Wasser fließt in das Licht, schneeweißchen und rosenrot.
Der Kelch im heißen Sand.
Die Gebete aus Leinen.   






Im Staub


Der Morgen, ein warmer Stein unter meinen Füßen.
Ein Kranich fliegt Leere über den See.
Leer meine Zimmer an Rosenstöcken.
Schneeoffen das Haus.
Mein suchendes, bleiches Gesicht.
Gebrochener Ast im Staub mit rot blühenden Bitten.
Rehe im Wind.    







Herbst 


Herbstbrücken über zahmen Wassern.
Nüsse werden verbuddelt vor der Geduld nasser Steine.
Das Ahnen von Winter ritzt das Erwarten.
Aus verlassenen Nestern fällt hemmungslose Hoffnung,
gelb und schier, fällt in warmen Schatten in groben Sand.
Das Zimtlächeln des Todes tätowiert den Boden.
Der Mohn ist den Blüten entwachsen, lange schon.
Ihr Rot blättert mit den Herzen an den Litfaßsäulen,
die der Regen weicht.
Die Zeit versteckt sich in den Innereien der Erde.
In silbernen Winkeln ein Gott, der Himmel verstreut,
über ängstlichen Ratten. 






Raben fliegen über die Wintergleise
in gebrechliches Morgenrot.
Der letzte der Tage liegt wie Bernstein im Meer.   


     






Werdegang


Meine Schritte schwimmen wie Fische durch die Mittagsruhe der Stadt.
Die Gräber sind noch grün an diesem birnenreifen Septembertag.
Schwalbenleise die Ferne Cardiffs,
fern die ledernen Gerüche der Pubs.
Vor mir her treibe ich weiße Murmeln, die der Tod verliert.
Meine Rede an die Mittelmäßigkeit der Passanten ist ein Skelett.
Ich laufe zum Bahnhof, um den Zugvögeln zu folgen.
Die Gleise schmecken nach Blut.
In den Händen des Obdachlosen finde ich ein Märchen.
Es beginnt und endet im Schnee.
Windhelles Lachen mit Flügeln von Fledermäusen
haftet an den kaltschnäuzigen Sitzen des Bahnsteigs.
Regen wie Blei fällt auf den Kirgisen,
der in den Himmel schaut wie in ein Freudenhaus.
Ich lege die Hände vor die Mutter in meinem Gesicht
und falle in den Hunger der Steine, mit Tauben zum Trost,
falle und falle
Morgen dann an bleiche Lippen.